Allesfresser
Neulich hat eine Studentin (BV) mich gefragt, ob wir die Menschen dazu erziehen könnten, für Inhalte aus dem Internet zu bezahlen (Pay-per-view oder Abo). Ich habe so geantwortet:
Bezüglich dieser Erziehung bin ich äußerst skeptisch. Mit ganz wenigen Ausnahmen, wo eine Informationsquelle sich definitiv als die Quelle schlechthin etabliert hat, können die meisten Quellen nicht von sich behaupten, hier finden Sie immer das beste Informationsangebot. So eine Ausnahme ist die Wall Street Journal. Die Qualität ist hoch, aber auch die Zusammensetzung der Stammkundschaft spielt hier eine große Rolle. Die Leser der WSJ verdienen i. d. R. recht ordentlich, also eine Kleinigkeit zu bezahlen, gerade für die Zeitung, die man einfach gelesen haben muß, ist kein wesentlicher Umstand. Solche Quellen sind selten zu finden. Schon die New York Times, die als die einzige ‘Landeszeitung’ von Qualität der USA längst eine Sonderstellung hat, scheiterte mit Pay-Per-View und Online-Abonnements. Scheitern ist zu stark formuliert. Besser wäre es zu sagen, der erhoffte Erfolg blieb aus.
Wie ich in der heutigen Sitzung erwähnt habe, ist unsere Wahrnehmung von Information heutzutage weitgehend von Suchmaschinentechnik bestimmt. Für eine Zeitung zu bezahlen hieße, jetzt muß ich deren Inhalt lesen (aus psychologischem Drang, denn ich habe Geld ins Spiel gesteckt), auch wenn klar ist, in einem bestimmten Fall bessere Information sich evtl. anderswo finden ließe. Wir sind Informationsallesfresser geworden.
Die Lösung wäre vielleicht, ein Verfahren zu entwickeln, wo man schnell und sicher Mikrozahlungen abwickeln könnte. Das Problem mit Pay-Per-View ist, daß der Stückpreis immer zu hoch liegt (wer möchte $3.95 für einen einzigen Artikel bezahlen). Der Preis muß so hoch sein, damit es sich für das Medienunternehmen lohnt, eine Kreditkartenzahlung abzuwickeln. Könnte ich mit zwei Mausklicks aber eine Mikrozahlung abgeben, z.B. $.29, also eine Kleinigkeit, die ich kaum merke, wäre ich vielleicht bereit, für bessere Inhalte doch zu bezahlen. Aber hierfür bräuchte man ein globales ‘Medienkonto,’ wo man ab und zu $20 aufladen könnte. Auch: alle Quellen müßten die Mikrozahlungen akzeptieren, und das heißt international. Kann ich mit meinem Medienkonto nur US-Inhalte kaufen, und keine aus Deutschland, Australien usw., interessiert es mich nicht mehr. So ein Konto müßte mich ruhig und zuverlässig überall im Internet begleiten. PayPal geht schon weit in diese Richtung, ist aber viel zu umständlich (und die Gebühren sind lächerlich hoch) und schon gar nicht international, sondern immer relativ landesbezogen.
Was die Zeitungen anscheinend noch nicht oder nur begrenzt begriffen haben: ich lese gern z.B. Beiträge aus der New York Times, habe aber keine Lust, die New York Times zu lesen. Anders gesagt, ich definiere mich nicht als NYT-Leser, bin also nicht bereit, viel Geld herzugeben. Mein Verhalten ist heutzutage die Regel, so bezeugen alle Umfragen und Statistiken. Eine Brücke zu uns zu bauen ist die Aufgabe der Zeitung der Zukunft.
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